Die Wahrheit über Appassimento
Sie rangieren in der Beliebtheitsskala ganz weit oben: Italienische Rotweine, auf deren Etikett „Appassimento“, „Passimiento“ oder ähnliche Bergriffe vermerkt sind. Sie bestechen mit einer sehr reifen, konfitürigen Frucht, einer warmen Würze, Aromen von getrockneten Kräutern, daunenweichen Tanninen und der Abwesenheit von Säure.
Trauben dörren auf dem Dachboden
Der Begriff leitet sich vom Wortstamm „appassire“ ab, was so viel heißt wie dörren, welken. Gemeint sind die Trauben, die beim Appassimento getrocknet werden und somit runzlig wie Rosinen. Ursprünglich stammt die Methode aus der Süßweinbereitung. Dabei wurden (und werden) die Trauben nach der Ernte auf Matten ausgebreitet und auf dem Dachboden gedörrt. Wasser verdunstet und die Aromen in den Beeren konzentrieren sich.
Role Model: Amarone della Valpolicella
Der Durchbruch des Appassimento auch bei geschmacklich trockenen Rotweinen gelang im norditalienischen Valpolicella bei Verona. Traditionell sind die Rotweine im Valpolicella eher leichtfüßig, frisch und fruchtbetont. Um der internationalen Kundschaft auch opulente Weine von Statur anbieten zu können, ließ man die Trauben vor der Kelter 100 Tage, also bis ins Frühjahr hinein, trocknen. Der Amarone della Valpolicella war geboren. Der überwältigende Erfolg, der diesen Wein seit rund fünfzig Jahren zu einem der teuersten und begehrtesten Italiens macht, verlangte einfach Nachahmer.
Appassimento am Weinstock
Das mühselige Trocknen der Trauben nach der Ernte bleibt aufwendig, riskant und kostspielig – auch wenn dies heute überwiegend in Plastikkisten und in vollklimatisierten Räumen geschieht. Erschwinglich wurde das Appassimento-Geschmacksbild erst durch die Rebschere. Mit der zertrennt man die wasserführende Rute am Weinstock und die Trauben trocknen in der sengenden südlichen Sonne binnen kurzem. Die Methode erweist sich als nicht ganz so aromaschonend, vor allem Frische geht verloren. Nicht jeder Weinfreund sieht darin einen Mangel. Auch sind die Weine um ein Vielfaches günstiger. Ausgehend von Apulien breitete sich der Weintyp rasant aus.
Governo, Vine dried, Ripasso
Im Zuge der Appassimento-Welle wurden auch in anderen Regionen alte Traditionen mit getrockneten Trauben wiederbelebt. Der bekannteste Wein ist der Governo aus der Toskana. In Spanien wurde der italienische Begriff Appassimento übernommen. In der Neuen Welt hat sich der Terminus „Vine dried“ (in etwa: „rebstockgetrocknet“) durchgesetzt. Geschmacklich und klanglich ähnlich ist das Ripasso, wörtlich: Wiederholung. Das Verfahren ist allerdings grundverschieden. Beim Ripasso – auch eine Erfindung aus dem Valpolicella – wird einem Wein Trester zugegeben und eine „wiederholte“ zweite Gärung in Gang gesetzt. Schließlich tummeln sich auf den Etiketten Begriffe wie Double Pass, Doppio Passo, Passionato und ähnliches mehr. Doch was dies nun genau bedeutet, bleibt den einzelnen Erzeugern überlassen.